UNLUST, ÜBERDRUSS, TRÄGHEIT | Acedia, so wirst du wieder von Deinem Leben gepackt
Was ist Acedia? Acedia ist ein altes griechisches Wort, welches heutzutage nicht mehr benutzt wird. Dabei beschreibt es einen Zustand, der auf die heutige Gesellschaft und Kultur nicht zutreffender sein könnte, als vor 2.000 Jahren. Acedia wird wohl am besten mit den deutschen Wörtern “Unlust, Überdruss” oder auch “Trägheit” übersetzt. Im Christentum ist Acedia, die Trägheit, auch eine der 7 Todsünden. Ich will jetzt hier nicht über Todsünden sprechen und ob uns ein Verhalten in diesem Leben, hier auf Erden dazu bringt, später in einer Hölle zu landen. Ganz abgesehen davon, dass wir manchmal schon selbst genug Hölle aus unserem gegenwärtigen Leben hier auf Erden machen.
Acedia beschreibt für mich ein psychologisches Phänomen, eine Geisteshaltung. Wenn uns unser eigenes Leben nicht genug packt, wenn wir nicht mit vollem Herzen dabei sind, dann überkommt uns eine gewisse “Lebens-Unlust”, ein “Lebens-Überdruss”. Im modernen Sprachgebrauch könnte man auch von einer Depression reden. Wenn wir das Wort Depression benutzen, dann ist es für mich die Extremform von Acedia. Dieser Grad an Unlust betrifft sicherlich nur einen gewissen, kleinen Prozentsatz der Bevölkerung. Aber Acedia im Sinne von, dass wir von unserem eigenen Leben nicht hinreichend gepackt werden, dass wir uns lieber in Filme, Serien, Computerspiele und Bücher flüchten, als unser eigenes Leben zu leben, betrifft meiner Meinung nach in der heutigen Kultur mehr Menschen als wir ahnen. Ich kann sicherlich von mir behaupten, dass ich in gewissen Abschnitten meines Lebens selbst von Acedia betroffen war. Wenn ich mein eigenes Leben so unspannend fand, so langweilig, dass ich einfach nur schnell durch den Tag kommen wollte, um dann Abends endlich das machen zu können, was mir damals als mein “wahres Leben” erschien. Endlich die Serie weiterschauen, die ich gerade “gebinged” habe oder das Buch weiterlesen, in dessen Welt ich gerade voll eingetaucht war und wissen wollte, wie es mit dem Helden bzw. Protagonisten weitergeht.
Gerade in der heutigen Zeit, wo wir durch Social Media und ein Überangebot an Entertainment überflutet werden, haben wir ständig das Gefühl, dass andere Menschen ein spannenderes Leben führen als wir, dass andere Welten gerade mehr Leben zu bieten haben, als unser eigener Alltag. Wieso ist das so? Wieso fühlt man sich bisweilen vom eigenen Leben nicht mehr gepackt? Wieso haben wir manchmal Probleme morgens aus dem Bett zu kommen? Wieso sind wir so unmotiviert unser eigenes Leben zu leben?
Ich denke genau darin liegt das Problem. Wir bekommen durch die Medien immer nur Höhepunkte gezeigt, Dinge die sich ständig zuspitzen und aufschaukeln, die beständig einem Höhepunkt entgegenstreben. Alles ist so voller Leidenschaft. Die Beziehungen, die uns gezeigt werden, sind immer aufregend und glühend vor Leidenschaft, eine Action Szene reiht sich an die andere, ein Abenteuer jagt das nächste und ständig kommt der Protagonist mit einer schnellen Lösung davon. Aber das richtige Leben funktioniert nicht so. Das richtige Leben wird meistens auf einem Plateau verbracht. Nur selten erleben wir einen Höhepunkt oder einen Sprung in unserer Entwicklung.
Wenn wir unser Leben natürlich danach auslegen, dass wir immer nur die Höhepunkte jagen, dann wird einem auch klar, wieso das eigene Leben einem langweilig vorkommt und wir eine regelrechte Unlust verspüren es zu leben. Das ist der Preis, den wir alle zahlen, dass wir in einer ziel- und leistungsorientierten Gesellschaft leben. Wir wertschätzen nicht mehr den Prozess, der zu einem Ergebnis führt. Wir wollen einfach nur das Ergebnis haben. Ich denke viele junge Menschen wünschen sich Erfolg in ihrer Karriere, wollen womöglich Abteilungsleiter oder sogar Geschäftsführer werden. Aber nur die wenigsten sind bereit 80 Stunden pro Woche dafür zu arbeiten. Viele wollen eine erfolgreiche, tiefe und sinnstiftende Beziehung haben, aber nur wenige sind bereit dafür stundenlange unangenehme Gespräche mit dem Partner zu führen, um die Dinge zu sortieren und sich darüber klar zu werden, was man sich gemeinsam von der Partnerschaft erhofft. Viele wollen ein gefeierter Unternehmer, Autor, Fotograf oder Künstler sein, aber die meisten wollen einfach nur das Endergebnis haben — ein Unternehmen zu besitzen und ein vermeintlicher Millionär zu sein, ein Buch geschrieben zu haben, tolle Fotos geschossen zu haben oder ein Kunstwerk erschaffen zu haben. Aber nur die wenigsten sind bereit die dafür notwendigen Opfer zu bringen, den dafür notwendigen Prozess zu befolgen und sich jahre- oder gar jahrzehntelang mit einem Gebiet zu beschäftigen, um darin so gut zu werden, dass man auch die Früchte dieser Arbeit ernten kann.
Es ist nichts Schlechtes daran einem konkreten Ziel entgegen zu streben. Probleme entstehen immer nur dann, wenn wir lediglich das Ergebnis haben wollen, ohne den Weg dahin gehen zu wollen. Und genau diese Illusion erschaffen Social Media und alle Unterhaltungsmedien. Wenn wir also die Leidenschaft für unser eigenes Leben mit der Leidenschaft, die uns im Fernsehen und Internet gezeigt wird, vergleichen, dann kommt uns das so vor als ob wir einen Ofen, der auf Warmhaltefunktion steht mit einem riesigen lodernden Osterfeuer vergleichen. Natürlich erscheint uns das tobende, reißende Osterfeuer viel attraktiver als unser oller Ofen der auf 80°C steht.
Ein weiterer Grund wieso wir von unserem eigenen Leben nicht gepackt werden, könnte darin bestehen, dass wir nicht genug Verantwortung für uns selbst, die Gesellschaft und die Welt übernehmen. Jordan Peterson hatte dazu eine kontroverse Aussage, dass der Mensch im Grunde wie ein Lastentier ist und eine Last tragen muss, um seine “erbärmliche Existenz” zu rechtfertigen. Das Wort erbärmlich hört sich in diesem Kontext vll. etwas hart an, aber im Grunde hat er Recht. Im großen Kontext des Universums, sind wir nichts. Die Erde selbst ist im Vergleich zum Rest des Kosmos wie ein Staubkorn und auf diesem Staubkorn sind wir einzelne Menschen nur ein klitzekleiner Fleck. Also ein kleiner Fleck auf einem Staubkorn. Wir sind in der Zeitspanne des Universums, nicht mal ein millisekunden langes Aufflackern. Kaum leuchtet das Licht unserer Lebens auf, schon ist es wieder verloschen und vor allem: es interessiert das kosmische Spiel absolut Null und gar nicht. Eine ziemlich deprimierende Wahrheit, oder? Unter diesen Umständen ist es leicht dem Nihilismus zu verfallen und anzufangen zu glauben, dass unsere Existenz absolut sinnlos ist. Und genau das meint Jordan Peterson mit “erbärmliche Existenz”. Wir brauchen einen Sinn in unserem Leben, den wir uns erschaffen müssen, und das geht immer noch am besten, wenn wir uns eine Last aussuchen und diese tragen, um im Allgemeinen die Last des Seins zu ertragen.
Wir müssen ein Commitment, eine Verpflichtung eingehen und uns selbst zum Teil für das größeres Ganze dieses Commitments aufopfern.
Ein sehr gutes Mittel, mit dem man ein lebenslanges Commitment eingehen kann, mit dem ich mich gut identifizieren kann, da ich es vor kurzem eingegangen bin, sind Kinder. Wenn man Kinder bekommt, dann geht man das ultimative Commitment ein. Man verpflichtet sich dazu, einen gewissen Teil der Gemütlichkeit seines eigenen Lebens für ein anderes Lebewesen aufzugeben. Man scheut keine Mühen und nimmt jede Unannehmlichkeit und Last auf sich, um seinem Kind (oder seinen Kindern) ein möglichst gutes Leben zu ermöglichen. Was auch immer “gutes Leben” in diesem Zusammenhang bedeutet. Das ist dann wieder für jeden etwas anderes und hat mit den eigenen Werten zu tun. Da können wir gerne ein anderes mal drüber sprechen. Aber im Grunde geben Kinder dem eigenen Leben einen Sinn und zwar einen verdammt guten und mächtigen Sinn.
Man kann aber auch andere Commitments in seinem Leben eingehen, man muss sich eben nur entscheiden und dann auf den Prozess vertrauen und lernen diesen zu mögen. Und nicht nur das Ziel. Am besten sind immer solche Commitments und Ziele, die man vermeintlich nie erreichen kann. Im Beispiel der Kinder ist es so, dass man ein Leben lang die Eltern bleibt und ein Leben lang immer in irgendeiner Form verantwortlich für diese ist. Das endet erst, wenn man selbst oder die Kinder nicht mehr sind.
Wenn wir also von Acedia, der Unlust oder dem Überdruss über unser eigenes Leben gepackt werden, dann könnte es uns helfen uns einen Sinn im Leben zu suchen. Diesen können nur wir für uns selbst bestimmen. Danach müssen wir uns diesem Sinn total verschreiben, committen und hingeben.
