ES IST ZEIT für eine Emanzipation des Menschen
Ich glaube, dass es Zeit ist für eine Emanzipation. Emanzipation kommt ja von emancipatio und heißt ursprünglich die “Entlassung des Sohnes aus der väterlichen Gewalt”. Oder auch die “Freilassung eines Sklaven”. In diesem Sinne wäre der Sohn, bis er sich emanzipiert der Sklave seines Vaters. Oder wenn wir schon in einer hierarchischen Struktur unterwegs sind der Untergebene der Sklave seines Herrschers, der Bürger Sklave seines politischen Regimes. Irgendwann wurde der Begriff dann auf die Emanzipation der Frau übertragen. Ich schätze mal, dass das dann im übertragenen Sinne bedeutet, dass die Frau sich “aus der Gewalt des Mannes entlässt”.
Über diese “klassischen” Arten der Emanzipation will ich heute aber nicht sprechen. Ich finde, dass es Zeit ist für eine Emanzipation des Menschen. Emanzipation geht immer einher mit einer Selbstbefreiung, der Befreiung von den Fesseln der Tradition, von gesellschaftlichen Normen, von vorgegebenen Weltanschauungen und politischen Zwängen. Selbstbefreiung bedeutet, dass ich sowohl ein inneres als auch äußeres Vermögen zur Selbstbestimmung aufbaue. Das bedeutet, dass ich mich sowohl selbst als mündiges Wesen sehe, als auch von der Gesellschaft und Politik als mündiges Wesen angesehen werde. Es bedeutet, dass ich mir auf der einen Seite die Freiheit nehme und auf der anderen Seite auch diese Freiheiten zugesprochen bekomme, eigenverantwortlich zu handeln. Es bedeutet, dass ich selbst am besten weiß, was gut für mich und meine Mitmenschen ist. Mündigkeit zu besitzen heißt, dass ich von anderen, z.B. der Gesellschaft im Allgemeinen oder der Politik nicht bevormundet werde. Solange ich von jemand anderem bevormundet werde, habe ich keine Emanzipation erlangt. Ich bin nicht entlassen aus der väterlichen, gesellschaftlichen oder auch politischen Gewalt. Ich bin nicht frei.
Immanuel Kant, der Vater der modernen, westlichen Philosophie und der Aufklärung schrieb 1784 dass die Aufklärung der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit ist. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne die Leitung eines anderen zu bedienen. Nach Kant ist diese Unmündigkeit nur dann selbstverschuldet, wenn die Ursache der Unmündigkeit nicht am Mangel des Verstandes liegt, sondern dem Entschluss und dem Mut, sich selbst seines Verstandes ohne die Leitung eines anderen zu bedienen. Kant machte den lateinischen Ausspruch
“Sapere aude!”
bekannt.
Das heißt
“Wage es, mutig zu sein.”
Er machte daraus den Leitspruch der Aufklärung:
“Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.”
Die Aufklärung liegt nun schon gute 300 Jahre zurück, wenn wir jedoch nicht den Mut haben unseren Verstand zu benutzen, dann entmündigen wir uns in erster Linie selbst.
Selbstbestimmung oder Selbstständigkeit sind auch andere Begriffe für Autonomie. Wenn wir uns die Autonomie aus der philosophischen Brille anschauen, dann heißt es die Fähigkeit zu haben sich selbst als Wesen der Freiheit zu begreifen und auch als solches zu handeln. Das ist für mich ein zentraler Aspekt der Würde des Menschen. Die Weisheitslehren der Geschichte, egal ob westlich oder östlich, lehren dass der Mensch eins ist mit der ihn umgebenden Natur. Er ist nicht nur ein Produkt der Natur. Er ist die Natur. Wir müssen erkennen, dass wir eins sind mit allem. Wir selbst, sind wir selbst. Niemand ist so wie ich und doch bin ich alles und jeder andere, weil ich Teil von etwas Größerem bin. Das ist schwer zu verstehen mit einem westlich, industriell ausgerichteten Gehirn. Wenn diese Lehre der Weisheitstraditionen jedoch wahr ist — und nehmen wir einfach mal an, dass das so ist — dann bedeutet das aber auch, dass ich lernen muss, mit allem was mich umgibt zu leben. Mit meinen Mitmenschen. Mit der Natur. In Harmonie. Ich kann nichts was in irgendeiner Form in der Natur vorkommt unterdrücken, ob es jetzt das größte oder das allerkleinste Lebewesen ist.
Es kann kein Zero-Irgendwas geben.
Wenn ich das versuche, dann übe ich eine Gewaltherrschaft aus. Dann will ich mir die Natur untertan machen. Was die Folgen solch einer Gewaltherrschaft sind — ob vom Menschen gegenüber der Natur oder vom Menschen gegenüber dem Menschen — erleben wir gerade jetzt. Dann habe ich die wahre Essenz des Lebens nicht verstanden. Dann habe ich nicht verstanden wie das Leben funktioniert. Dann kann ich niemals in wahrer Freiheit leben.
